Leserbrief DAS ERPESSTE GESTÄNDNIS

Alfred Mayer
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An die
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NJW

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Leserbrief
Das erpresste Geständnis

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Sehr geehrte Damen und Herren !


Ganz schlimm wird es, wenn die Überlastung zu erpresserischer Prozeßführung
führt, zum Beispiel in folgendem Fall:


Nach Berichten in der Süddeutschen Zeitung soll der Vorsitzende Richter im
Prozeß vor dem Landgericht Augsburg gegen den Strauß-Sohn Max zum Ausdruck
gebracht haben, bei einem Geständnis hätte der von seinem Schweigerecht
Gebrauch machende Angeklagte mit einer Bewährungsstrafe rechnen können,
anstatt nun insgesamt 3 Jahre und 3 Monate seiner Freiheit beraubt zu sein
(wenn das Urteil wider Erwarten auf dieser Basis rechtkräftig werden
sollte). Man habe den Angeklagten rechtzeitig darauf hingewiesen.


Das Mittelalter hält allmählich nicht nur im Orient wieder Einzug in die
Gerichtssäle. Damals hat man den Verdächtigten die Folterwerkzeuge gezeigt
(und gebrauchte sie auch), um ein Geständnis zu erzwingen. Heute droht man
mit Freiheitsentzug (und verhängt ihn auch).


Übertragen auf die aktuellste Neuzeit:
Was ist schlimmer, ja auch demütigender,
a) zur mit Recht weltweiten Empörung der Öffentlichkeit am Hundehalsband
posieren zu müssen oder
b) die Aussicht, drei Jahre in einer Strafvollzugsanstalt
(Der Name spricht für sich) verbringen zu dürfen?

Bei der Kleinkriminalität scheint schon lange z.B. beim Amtsgericht München,
zum Alltag zu gehören, die Strafen drastisch zu erhöhen, wenn ein
Beschuldigter wagt, gegen einen Strafbefehl Einspruch einzulegen und
vielleicht gar noch die Tat zu bestreiten. Der Strafbefehl sei ja von einem
geständigen Täter ausgegangen.


Wie lange wird es noch dauern, bis man als Verteidiger auch Unschuldigen
raten muß, alles zu "gestehen", um wenigstens noch gut wegzukommen.

Welchen Sinn hat eine Strafverfolgung noch, wenn sie bei "Reue und gutem
Vorsatz" fast auf Null reduziert wird? Denn eine Bewährungsstrafe wäre für
Max Strauß nicht spürbar geworden. Etwaige hohe Geldbußen wären
wahrscheinlich aus dem zwei- bis dreistelligen Millionenvermögen der Familie
bestritten worden.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß das Verfahren genau so enden wird. Der
Bundesgerichtshof oder das Verfassungsgericht, spätestens der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte, dürfen eine so haarstäubend unterschiedliche
Behandlung von geständigen und schweigenden Angeklagten nicht hinnehmen.

Bei klarer Beweislage wird jeder Angeklagte gestehen. Die Strafe absitzen
muß also nur der Täter, dem die Tat eigentlich nicht oder nur sehr schwer
nachzuweisen ist. Die Verurteilung Unschuldiger ist gar nicht so selten.
Über dem sich natürlich zur Wehr setzenden Unschuldigen schwebt also das
Damoklesschwert eines Justizirrtums mit extra drastischer Strafe.

Der offiziell immer noch geltende Grundsatz, daß dem Angeklagten durch
Schweigen und Abstreiten kein Nachteil erwachsen dürfe, ist in der Praxis
ganz ungeniert aufgehoben.

Die Handhabung des (übrigens im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich
vorgesehenen - dort ist nur vom "Verhalten nach der Tat" die Rede)
Strafmilderungsgrundes "Geständnis" ist jetzt in der Praxis endgültig zum
höchst fragwürdigen "Druckmittel" geworden, wenn davon so ungeniert im
vollen Licht der Öffentlichkeit Gebrauch gemacht wird wie hier.

Die aktuelle Handhabung des Geständnisses erleichtert Staatsanwalt und
Richter das Leben ungemein. Deshalb die lauthals geäußerte tief beleidigte
Reaktion auch des Augsburger Richters.
Es wird höchste Zeit, daß der Gesetzgeber ausdrücklich verbietet, ein
Geständnis strafmildernd zu berücksichtigen. Es ist ja überhaupt nicht
einzusehen, warum einem sicher überführten Täter das dann kaum ausbleibende
Geständnis zugute kommen soll.

Daß Polizei und Justiz ein Geständnis die Arbeit erleichtert, bringt der
Solidargemeinschaft wenig, weil sich die Zahl der Fälle vervielfachen wird,
wenn beim Tatentschluß mit kaum spürbaren Sanktionen gerechnet werden darf,
soweit man überhaupt erwischt werden sollte.
Wenn die Reichen mit aus der Westentasche zu zahlenden Strafen rechnen
dürfen, kann die Generalprävention nicht wirken. Dieses Urteil ist das
unmißverständliche Signal an die vielen potentiellen Täter, Steuern nach
Belieben ohne echtes Risiko verkürzen zu dürfen. Sollte der wenig
wahrscheinliche Fall eintreten, ertappt zu werden, braucht man nur zu
gestehen.
Bei den sog. Deals genügt oft sogar schon, einen Teil der Taten zu gestehen,
sodaß die insgesamt entzogenen Steuern oft immer noch höher sind als die
Strafe.

Der Rechtsstaat wird ganz sicher verlassen, wenn auf diese Weise Unschuldige
zu einem Geständnis gezwungen werden.
Die einmalig beherzten Augsburger Staatsanwälte sollten sich auch einmal
über ihr vordergründiges Interesse an einer

..J

effektiven Strafverfolgung hinaus über die Strafbarkeit der versuchten
Erzwingung von (falschen, aber durchaus auch richtigen) Geständnissen
Gedanken machen.
Wie heißt es doch immer noch so schön in § 240 (2) Strafgesetzbuch zur
Mittel-Zweck-Relation:

"Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Androhung des Übels
zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist" und nicht
"Der Zweck heiligt die Mittel."

Mit freundlichen Grüßen




Alfred Mayer




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